Die Essenz der Mahayana Praxis

Vollständiger Titel: „Meister Bodhidharmas Essenz des Eintritts in den Mahayana Weg durch das Prinzip und die vier Formen der Praxis“
Von Bodhidharma


Es gibt viele Pfade, wie man in den Großen Weg eintreten kann. Zusammengefasst handelt es sich um zwei Möglichkeiten, das Prinzip und die Praxis.

Der Eintritt durch das Prinzip bedeutet, das Absolute durch die Lehren direkt zu verwirklichen, im tiefen Vertrauen, dass alle Wesen die gleiche wahre Natur innehaben. Die wahre Natur kann sich allerdings nicht manifestieren, da sie durch wirre Gedanken und den falschen Fokus auf den Staub (statt den Raum) und die Gäste (statt dem Gastgeber) vernebelt ist. Wir lassen die wirren Gedanken los und kehren zum Wahren zurück. Im Geist sind wir still, als ob wir gegen eine Wand sitzend meditieren. Der Geist unterscheidet nicht zwischen selbst und anderen, Heilige und Weltliche sind eins. Wir bleiben dabei fest entschlossen und unerschütterlich und verlieren uns nicht in den Worten der Lehre. Dann sind wir im Einklang mit dem Prinzip. Der Geist wertet nicht, ist unbewegt und verweilt im Wuwei (Nicht-Handeln). All dies bedeutet der Eintritt durch das Prinzip.

Zum Eintritt durch die Praxis gehören vier verschiedene Praktiken, die alle Wege zusammenfassen: erstens, die Praxis Widrigkeiten zu akzeptieren, zweitens, Bedingungen zu folgen, drittens, nichts zu erstreben und viertens, im Einklang mit dem Dharma zu sein.

Die Praxis, Widrigkeiten zu akzeptieren

Was versteht man unter der Praxis, Widrigkeiten zu akzeptieren? Wenn ein Praktizierender Leiden erfährt, sollte er sich stets folgendes vergegenwärtigen: Seit unzähligen Kalpas (Zeiten) habe ich die Wurzeln vergessen und nach den Ästen gegriffen, bin in allen Daseinsstufen gewandelt, habe Ärger und vielen Feindseligkeiten Raum gelassen und dadurch unendlich viel Schaden angerichtet. Obwohl ich heute nichts Schlechtes getan haben mag, ernte ich die Früchte meines Karmas aus vergangenen Leben, die nun herangereift sind. Weder der Himmel noch andere Menschen haben es mir aufgezwungen. Bereitwillig akzeptiere ich alles ohne mich zu beklagen. Im Sutra heißt es dazu: „Begegne dem Leiden sorglos.“ Wie ist das möglich? Indem wir diese Weisheit tief durchdringen. Wenn dieser Geist aufkommt, sind wir im Einklang mit dem Prinzip. Im Erleben von Widrigkeiten machen wir Fortschritte auf dem Weg. Deshalb heißt es die Praxis Widrigkeiten zu akzeptieren.

Die Praxis, Bedingungen zu folgen

Fühlende Wesen haben kein eigenständiges Selbst. Sie werden von Bedingungen und Karma hin und her geworfen. Ursachen und Bedingungen führen wechselweise zu Freude und Leiden. Wenn wir Erfolg und Ansehen erlangen, sind es die Früchte der Ursachen, die wir auch in früheren Leben gesät haben. Wenn die Bedingungen aufgebraucht sind, löst sich auch diese Situation wieder auf. Warum sollten wir uns also zu sehr daran erfreuen? Gewinn und Verlust folgen Bedingungen, aber der Geist wird dadurch weder erhöht noch erniedrigt. Unbewegt vom Wind der Freude verbleiben wir im Einklang mit dem Prinzip. Deshalb heißt es, die Praxis, Bedingungen zu folgen.

Die Praxis, nichts zu erstreben

Weltliche Menschen sind permanent verwirrt. Sie begehren ständig etwas und haften daran an. Das nennt man etwas zu erstreben. Ein Weiser ist durch Erleuchtung zur Wahrheit gelangt. Indem er sich dem Prinzip annähert, entfernt er sich nach und nach vom allem Weltlichen. Sein Geist ist friedvoll und verweilt im Wuwei (Nicht-Handeln), während sein Körper den kausalen Bedingungen folgt. Da alle Phänomene leer sind, strebt er nicht nach Glück. Erfolg und Misserfolg wechseln einander ab. Das Leben in den drei Welten gleicht dem Verweilen in einem brennenden Haus. Einen Körper zu haben bedeutet Leiden, niemand kann darin vollkommenen Frieden finden. Wer das verinnerlicht hat, lässt alIe weltlichen Dinge los, geht/gibt seinen Gedanken nicht nach und sucht nichts mehr. Im Sutra heißt es: „Erstreben bedeutet Leiden, nichts zu erstreben dagegen Glück.“ Wer es versteht, nichts zu erstreben, folgt wahrhaft dem Weg. Deshalb heißt es, die Praxis, nichts zu erstreben.

Die Praxis, im Einklang mit dem Dharma zu sein.

Wir betrachten das Prinzip der reinen Natur als das Dharma (das Absolute). In diesem Prinzip sind alle Phänomene leer, ohne Verunreinigungen und ohne Anhaftungen, ohne selbst und ohne andere. Im Sutra heißt es: „Im Dharma gibt es keine fühlenden Wesen, denn das Dharma ist frei von den Verunreinigungen von fühlenden Wesen. Im Dharma gibt es kein Ich, denn das Dharma ist frei von der Verunreinigungen des Ich.“ Ein Weiser der dieses Prinzip versteht und darauf vertraut, praktiziert entsprechend im Einklang mit dem Dharma. Sein Dharmakörper kennt keinen Geiz. Körper, Leben und Materielles können aufgegeben und gespendet werden. Sein Geist hält an nichts mehr fest. Er versteht die dreifache Leerheit (Geber, Empfänger, Objekt), stützt sich dabei auf nichts und hält auch an nichts fest. Er rettet alle Wesen, ohne daran anzuhaften und wird so seine Verunreinigungen los. Von dieser Praxis profitiert er einerseits selbst, gleichzeitig hilft er dabei anderen Wesen und schmückt den Bodhi-Weg aus. Genau wie die Praxis des Dana Paramitas verhält es sich auch mit den anderen fünf Paramitas. Wir kultivieren die Paramitas, und werden dadurch unsere verwirrten Gedanken los. Dennoch gibt es nichts zu praktizieren. Das nennt sich, die Praxis im Einklang mit dem Dharma zu sein.