Verantwortung übernehmen statt lamentieren

Ein Mann liegt im Krankenhaus, er kauert bäuchlings mit einem Kissen unter dem Bauch und das Blut läuft ihm den Hintern herunter. Er ist verzweifelt nach der missglückten Hämorrhoiden Operation. Er hatte sich schon mehreren Behandlungen unterzogen. Wie er da so liegt, kommt ihm plötzlich ein Bild, das sein Leben verändern wird. Er erinnert sich an sein Hobby, Vögel zu schießen, welches er jahrelang mit Vergnügen betrieben hat. Er machte es sich zum Ehrgeiz, den Vogel so zu treffen, dass er erst noch kurz am Ast hängenbleibt, der Körper nach unten kippt und das Blut herunter tropft. Nun sieht er plötzlich das Bild dieser Vögel und er „erwacht“! Er sieht sich in der gleichen Körperposition und erkennt, dass er diesen vielen Vögeln unzähliges Leid angetan hat. Er erkennt, dass seine derzeitige Situation die Frucht seines eigenen Verhaltens ist. Auf dem Kissen kauernd empfindet er großes Mitgefühl mit den Vögeln. Er bereut aufrichtig seine Taten und entschuldigt sich im Geiste bei den Vögeln. Er nimmt sich vor, von nun an, keinem Wesen mehr etwas zu Leide zu tun und beschließt weiterhin, sich von nun an vegetarisch zu ernähren. Seit diesem Moment nimmt seine Krankheit einen anderen Verlauf. Die Blutungen und Schmerzen lassen nach, hören schließlich auf und die Wunde verheilt bis es zur vollständigen Genesung kommt.

Diese wahre Geschichte verdeutlicht sehr anschaulich das von Buddha gelehrte Prinzip von Ursache und Wirkung und Karma, das ein Kernthema des Dharma darstellt. In den fünf tägliche Betrachtungen aus dem Pali Kanon heißt es beispielweise: „Ich bin der Eigner meiner Taten, Erbe meiner Taten, entsprungen meinen Taten, verbunden meinen Taten, auf meine Taten … muss ich mich verlassen. Welche Tat ich auch verübe, im Guten wie im Bösen, deren Erbe werde ich sein.“ AN 5.57

Buddha lehrt uns, dass es keinen Zufall gibt. Alles, was uns im Leben passiert ist das Resultat unserer Taten von Körper, Rede und Geist aus der Vergangenheit, die gestern gewesen sein kann, aber auch vor 10 Jahren, im letzten Leben oder vor zahllosen früheren Leben. Das Karma, was wir so kreiert haben, wird im Bewusstsein gespeichert und wenn die passenden Bedingungen eintreffen, kommt es zur Reifung und manifestiert sich in einem Ereignis, sowohl im Positiven, wie auch im Negativen oder Neutralen. Es wird nicht „vergessen“.

Meistens, wenn uns unangenehme Dinge passieren, Menschen uns schlecht behandeln, wir „Pech“ haben, dann versuchen wir, die Schuld bei anderen zu suchen: derjenige hat einen schlechten Charakter, meine Eltern haben in meiner Kindheit etwas falsch gemacht, die Gesellschaft ist Schuld. Wir reagieren mit Ärger und Frustration. Aber, so verständlich das ist, es vermindert nicht unser Leiden, sondern im Gegenteil, wir reiben uns daran auf, im Konflikt mit der Realität zu stehen. Wir kommen nicht zur Ruhe. Wenn wir schlecht behandelt wurden, versuchen wir, uns zu rechtfertigen, oder es dem anderen zurückzuzahlen. Das ist die weltliche Sichtweise auf die Phänomene.

Aus Sicht eines Praktizierenden könnten wir aber lernen, selbst die Verantwortung für unsere derzeitige Situation zu übernehmen. Wir verstehen, dass wir selbst die Ursachen dafür gelegt haben. Wir ernten, was wir gesät haben. Wenn uns jemand gemein behandelt, haben wir der Person vielleicht im letzten Leben auch geschadet, wenn uns jemand betrügt, haben wir sie vielleicht früher selbst einmal betrogen. Wir akzeptieren die Situation, gehen nicht in den Widerstand und versuchen, das Beste daraus zu machen. Das bedeutet nicht, dass der andere dadurch im Recht ist. Er oder sie kreiert wiederum sein eigenes negatives Karma, wenn er uns schadet. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und Mitgefühl für die Person entwickeln, denn sie wird früher oder später auch großes Leiden erleben.

Wir praktizieren Ksanti, Geduld, Akzeptanz oder Ertragen, und können nun entspannen und loslassen. Das ist eine Übung und geht natürlich nicht auf Knopfdruck, aber je mehr wir uns auch in kleinen Situationen des Alltags darin trainieren, zu akzeptieren, wie beispielsweise, wenn wir den Bus verpasst haben, wir bei einer Verabredung versetzt worden sind oder uns jemand respektlos behandelt hat. Es liegt allein an uns, wie wir auf die äußeren Situationen reagieren. Mit Ksanti gewinnen wir mehr Freiheit und Ruhe.

Bodhidharma, der Meister, der die Chan Tradition von Indien nach China brachte, lehrt folgendes: „Was versteht man unter der Praxis, Widrigkeiten zu akzeptieren? Wenn ein Praktizierender Leiden erfährt, sollte er sich stets folgendes vergegenwärtigen: Seit unzähligen Kalpas (Zeiten) habe ich die Wurzeln vergessen und nach den Ästen gegriffen, bin in allen Daseinsstufen gewandelt, habe Ärger und vielen Feindseligkeiten Raum gelassen und dadurch unendlich viel Schaden angerichtet. Obwohl ich heute nichts Schlechtes getan haben mag, ernte ich die Früchte meines Karmas aus vergangenen Leben, die nun herangereift sind. Weder der Himmel noch andere Menschen haben es mir aufgezwungen. Bereitwillig akzeptiere ich alles ohne mich zu beklagen. Im Sutra heißt es dazu: ‚Begegne dem Leiden sorglos.‘ Wie ist das möglich? Indem wir diese Weisheit tief durchdringen. Wenn dieser Geist aufkommt, sind wir im Einklang mit dem Prinzip. Im Erleben von Widrigkeiten machen wir Fortschritte auf dem Weg. Deshalb heißt es die Praxis Widrigkeiten zu akzeptieren.“

Mit „Wurzel“ ist hier unser wahrer Geist, unsere Buddhanatur, gemeint. Da wir uns immer nach außen richten, nach den „Ästen“ unserer sechs Sinnesreize greifen, sind wir nicht im Einklang mit unserer wahren Natur und daraus resultiert, dass wir immer wieder durch Mögen (Gier) und Abneigung (Ärger) Karma kreieren, das uns im Samsara zirkulieren lässt und wir dabei bewusst und auch oft unbewusst anderen fühlenden Wesen schaden. Wenn wir ein tiefes Verständnis entwickeln, dass es nicht andere sind, die zu unseren Schwierigkeiten führen, nicht Gott und die Welt verantwortlich sind, sondern allein wir selbst, dann können wir entspannen und im nächsten Schritt uns zurückbesinnen auf unseren reinen Geist, das „Prinzip“, der weder entsteht noch vergeht, der immer ruhig und klar ist. Er ist immer da, die Basis unserer Existenz, auch wenn wir ihn noch nicht erkennen.

Weiterhin gehört es zu der Praxis, dass wir, wie der Mann im Krankenhaus, unsere unheilsamen Taten aus tiefstem Herzen bereuen. Auch wenn wir die Bilder nicht so klar vor Augen haben, können wir aufgrund der Lehre sicher sein, dass wir etwas Unheilsames getan haben. Das können wir pauschal bereuen und uns entschließen, von nun an achtsamer zu sein, einen Lebensstil im Einklang mit der buddhistischen Ethik zu führen, aktiv viele heilsame und karmisch wirksame Dinge zu tun, wie beispielsweise Großzügigkeit und Mitgefühl kultivieren. Somit übernehmen wir die Verantwortung für unsere eigene Zukunft. Jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Wir tun, was wir persönlich tun können, ohne Erwartungen an andere zu stellen, wie sie sich verhalten sollen. Wir können andere zwar inspirieren, können sie aber nicht kontrollieren. Es heißt: „Zunächst ersetzen wir das Unheilsame durch Heilsames und schließlich lassen wir auch das Heilsame los und verweilen im absoluten Geist“. Das ist eine sehr tiefe Praxis, eine Lebensaufgabe, die uns auch schon im Kleinen zu großem Glück und Zufriedenheit führen kann.