Dharmafreude statt Sinnesfreuden

Einmal organisierte König Pasenadi eine große Speisendarbietung an Buddha und die Mönche. Zu dieser Zeit waren gerade zwei Geschäftsleute in der Stadt unterwegs. Als sie Zeugen dieses großen Events wurden, hatte jeder von ihnen andere Gedanken.

Geschäftsmann A war begeistert und sagte: „Der Buddha ist wie ein König und seine Schüler wie die großen Beamten, die ihm folgen und seine wunderbare Lehre verbreiten. König Pasenadi hat große Weisheit, Buddha so respektvoll zu behandeln und zu unterstützen.“

Geschäftsmann B hingegen hatte negative Gedanken und sagte: „König Pasenadi ist wirklich dumm! Er ist doch schon der König, was wünschte er sich noch mehr. Buddha ist wie ein Ochse, seine Schüler wie ein Ochsenkarren. Der Ochse zieht diesen Karren nur aufs geradewohl quer durchs Land. Wozu sollte man ihn dabei unterstützen und ihm spenden?!“.

Die beiden Geschäftsmänner machten sich wieder auf den Weg. Nach vielen Kilometern kamen sie an einen Pavillon, wo sie sich zur Nachtruhe niederließen. Geschäftsmann A legte sich im Pavillon nieder und schlief ruhig und friedlich, wohingegen Geschäftsmann B nach etwas Wein vor dem Pavillon unruhig einschlief und dann auf den Weg rollte. Dort wurde er von einem Ochsenkarren überfahren und starb.

Geschäftsmann A setzte seine Reise fort und gelangte in ein fernes Königreich. Der König dort verstarb plötzlich und es gab keine Thronfolger. Einer Prophezeiung zufolge baten die Beamten den Geschäftsmann, der neue König zu werden. Er wunderte sich über sein unerklärliches Glück und dachte sich, es müsse damit zu tun haben, dass er Dharma praktiziert. Als König lud er Buddha zu einer Speisung ein und fragte ihn, wie es käme, dass er König wurde. Buddha lehrte: „Sie haben eines Tages die positiven Gedanken der Mitfreude gehegt. Dieses ist nun das karmische Resultat.“

Mitfreude ist eine Facette von Freude, die in der buddhistischen Praxis eine wichtige Rolle spielt und an vielen Stellen zur Sprache kommt. In den 10 großen Gelöbnissen von Bodhisattva Samantabhadra ist es das fünfte Gelöbnis: „Ich erfreue mich an den Tugenden und Verdiensten anderer“. Die Praxis der Mitfreude öffnet unser Herz und wirkt Neid und Missgunst entgegen. Letztere sind häufig nicht leicht zu erkennen. Sie sind Ausdruck unseres Egos und vergiften unseren Geist.

Wie oft geschieht es, dass wir uns nicht an den guten Taten oder der Praxis anderer erfreuen können. Wir sehen, wie jemand großzügig spendet und sagen uns, der ist ja sowieso reich. Wir sehen wie jemand nach den Shilas (den ethischen Grundsätzen) lebt und sagen, der will sich nur hervortun. Wir sehen, wie jemand höflich und respektvoll den Ordinierten gegenüber ist und sagen, was ist das denn für ein Gehabe. Jemand hat eine gute Arbeit geleistet und wir denken uns, wir hatten nur einfach Pech, dass unsere Arbeit nicht so gut angekommen ist.

Wenn wir genauer hinschauen, können wir viele solcher Momente der Missgunst entdecken. Um dem entgegenzuwirken, können wir uns aktiv bemühen, das Positive der anderen anzuerkennen, sowohl in Gedanken als auch in Worten auszudrücken. Wenn wir uns erfreuen, so entsteht die positive Kraft der Freude in unserem Herzen. Diese nährt unsere weitere Dharmapraxis. Einerseits kultivieren wir dort gute karmische Ursachen, wie aus der Geschichte hervorgeht, andererseits ist schon die Freude allein ein starker Motor, auf diesem Weg mit Energie weiterzugehen.

In der buddhistischen Praxis gibt es ganz viele verschiedene Arten von Freude. Viele Menschen assoziieren Buddhismus mit Leiden, Askese, Verzicht. Dabei ist dieser Weg ein freudvoller Weg. Es gibt beispielsweise die Freude durch Dana, Großzügigkeit, die vielen Menschen gerade in Asien ihr Leben erfüllt. Ich selber durfte das auch erst einmal lernen. Die Nonnen im Kloster haben immer alles geteilt und weitergegeben, ohne etwas für sich zu behalten. Die Laien haben mit viel Freude den Ordinierten und Klöstern gespendet. Das Zusammensein mit diesen Menschen hat mich beeinflusst, sodass ich gelernt habe, dass Geben mehr Freude bringt als Nehmen.

Eines Tages kam ein europäischer Laie, ein mittelloser Student, in unser Kloster in Taiwan. Es war sein Geburtstag. Er offerierte Buddha einen roten Umschlag mit einer Geldspende und war von großer Freude erfüllt. Noch Stunden später sagte er, er habe sich an dem Tag schlecht gefühlt, aber der Akt des Spendens veränderte seinen ganzen Tag.

Im chinesischen Buddhismus gibt es ganze Zeremonien, in denen Buddha und den Ordinierten gespendet wird. Nach dem Rezitieren von Sutren, einem Dharmavortrag und einer rituellen Essensdarbietung gehen die Mönche und Nonnen in einer Prozession auf dem Klostergelände. Die Laien reihen sich zu beiden Seiten auf und spenden jedem einzelnen Ordinierten persönlich einen roten Umschlag mit Geld. Dabei wird Buddhas Name rezitiert. Es ist ein sehr freudvolles Event und die Stimmung ist sehr positiv.

Am Ende werden die Umschläge der Ordinierten an die Gemeinschaft übergeben. Anfangs fragte ich mich, wozu dieser ganze Aufwand, es dauerte lange, war sehr anstrengend und die tausenden von Umschlägen am Abend zu öffnen hat nochmals Stunden gedauert. Doch irgendwann wurde mir klar, dass die Freude, jedem Mönch oder Nonne direkt eine Spende in die Hand zu geben, durch nichts zu ersetzen ist. Die Menschen standen dafür extra früh auf und legten weite Wege zurück, um an dieser Zeremonie teilzunehmen. Das ist ein ganz anderer Geist, als Geld einfach auf ein Konto zu überweisen.

Es gibt noch viele andere Arten von Dharmafreude. Wie beispielsweise die Freude durch Praxis der Achtsamkeit. Achtsames Tee trinken, achtsames Gehen und vieles mehr generiert eine Art ruhiger Freude, die sehr erfüllend ist. Es entsteht eine tiefe Zufriedenheit daraus, im gegenwärtigen Moment zu leben und nicht von den Sorgen der Zukunft oder der Vergangenheit weggetragen zu werden.

Die Freuden der Meditation können sehr vielfältig sein. Schon durch regelmäßige Meditation kann mehr Zufriedenheit und eine Freude und Ausgeglichenheit nach der Meditation auftreten. Wer intensiver meditiert, insbesondere in einer Retreat-Situation, kann die Freude der Leichtigkeit erfahren, die noch lange Zeit nach Ende der Meditation anhält. Sie entsteht durch die Reinheit des Geistes in der Übung. Man fühlt sich energetisch und beschwingt und vermisst nichts.

Wer tiefer in die Meditation eindringt, nämlich die Dhyana-Zustände erreicht (Jhanas), kann noch intensivere Freude erfahren, die so stark ist, dass sie alle weltlichen Vergnügen in den Schatten stellt. Wer das einmal erfahren hat, weiß, warum Ordinierte allem Weltlichen entsagen können.

Die meisten Menschen hingegen definieren Freude über Sinneseindrücke. Buddha lehrt, dass alles was wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen und denken nur flüchtige illusorische Erscheinungen sind, die keine wahre Freude erzeugen können, im Gegenteil, bei Anhaftungen (die unbewusst zwangsläufig entstehen) zu Leiden führen. Es entsteht Verlangen und bei nicht Erfüllung Ablehnung und Ärger, die unseren Geist benebeln. Deshalb wird im Dharma das Loslassen dieser Art von Vergnügen praktiziert. Was aber nicht bedeutet, dass die Dharmapraxis freudlos und trocken ist.

Die oben erwähnten Freuden gehören alle noch in den Bereich der bedingten Phänomene und sind deshalb vergänglich. Sie gehören zur relativen Ebene. Das Ziel der buddhistischen Praxis ist es, unseren reinen Geist zu realisieren, das Absolute zu verwirklichen. Dieser reine Geist ist jenseits von mögen und nicht-mögen, jenseits von entstehen und vergehen und damit jenseits von Geburt und Tod. Wer diesen reinen Geist in der Tiefe verwirklicht, überwindet nicht nur das Samsara, sondern kann die vollkommene Buddhaschaft erreichen.

Dieser reine Geist, oder auch Buddha Natur genannt, hat zwei Aspekte, die jeweils mit tiefer unbedingter Freude einhergehen. Der Aspekt des Nirvana, mit der stillen Freude des unbewegten, ruhigen Geistes und der Aspekt von Bodhi, Bewusstheit, mit der Freude der Klarheit.

Der reine Geist ist frei von Gedanken, und dennoch klar und wach. Er ist jenseits von Raum und Zeit. Jeder von uns hat diesen reinen Geist, oder die Buddha Natur, wir nennen es auch Bewusstheit (Awareness). Ein Geist, der nicht getrübt ist durch unsere Gier, Ärger, Unwissenheit, Stolz, Zweifel, falschen Ansichten (wie an unser Ego). Es ist der Wesensgrund unserer Existenz, und wurde uns dennoch nicht von unseren Eltern oder irgendjemandem gegeben. Es ist dieser Geist, der jetzt aufmerksam den Text liest, ohne Ablenkungen, ohne wirre Gedanken, ohne Bewertungen, einfach lesen, in Ruhe und Klarheit.

Es gibt nichts zu erlangen und nichts zu verlieren. Der Geist vermehrt sich nicht in Erleuchteten und ist nicht vermindert in normalen Wesen. Wir praktizieren Methoden, um uns vorzubereiten, diesen Geist einfach zu erleben. Wenn man ihn dann auch nur für einen kurzen Augenblick erfahren kann, entsteht eine tiefe Freude. Wenn es gelingt, diese Bewusstheit auch im Alltag aufrechtzuerhalten, wird alles zu einem Wunder. Alle noch so profanen Tätigkeiten, wie Fenster putzen beispielsweise, werden zu einer stillen wundersamen Freude. Der Geist ist ganz klar und dennoch ruhig. Alles erscheint leicht, auch schwierige Situationen wie Krankheit oder andere Hindernisse werden wie ein Spiel erlebt und es wird viel Kraft freigesetzt. Mit der Klarheit des Geistes lassen sich Probleme leichter lösen oder akzeptieren. Wir erkennen immer genauer den Prozess, wie unser Geist die Welt kreiert und können Einfluss darauf nehmen. Im Sutra heißt es: „Wenn der Geist rein ist, ist auch das Land rein.“. Auf diesem reinen Geist beruhend erleben wir die Welt als ein Wunder.

Wer diese Erfahrung einmal gemacht hat, hat ein Gespür dafür bekommen, worum es in der buddhistischen Praxis geht und braucht diese Momente nur noch länger aufrechtzuerhalten und zu vertiefen, aber ohne daran festzuhalten, oder etwas zu erstreben. Der Weg ist klar, einfach nur auf diesem reinen Geist, der Bewusstheit, zu beruhen, nach innen schauen, anstatt sich von den Sinnesreizen ablenken zu lassen. Dann ist die Freude unendlich, sie transzendiert Raum und Zeit.